Während du die Prominenz meiner
Wirbelreihe entlang balancierst, achte ich sehr genau auf den Abstand zwischen
uns. Das Gespür für die Zentimeter versuche ich seit Tagen aufrecht zu halten.
Es dürfen keine Millimeter werden, sagen die, die immer etwas zu sagen haben.
Denn Millimeterabstand birgt die Gefahr der Kollision. Birgt sie nicht nur,
sondern unterfüttert sie, gibt ihr Halt und Raum und Rahmen. Millimeterabstand
ist die Kollision, zischt es durch die Hohlräume meiner Zahnreihen.
Die Wände der Wohnung habe ich
mehrschichtig mit Styroporplatten ausgepolstert. Die Platten habe ich im Fluss
treiben sehen. Ich sah sie und rannte los, die Netze zu spannen. Wie früher als
Kind, die Senke in den Bach, die kleinsten Fische zu sieben, spannte ich die
Netze aus dicken Leinenstricken, warf sie die Brücke hinunter und fischte die
Styroporplatten aus dem Fluss. Zum Trocknen hatte ich sie mit einer Leine durch
den Hof gespannt. Die Nachbarn lugten durch ihre Fensterlöcher und scharrten
wie Hühner an den Gardinen. Die Platten baumelten im Wind. Den Flussgeruch
konnte der Wind nicht aus den Platten treiben. Der treibt jetzt von den Wänden
durch meine Wohnung. Besser Fluss als totes Tier, denke ich. Kollisionskurs.
Eines immer gegen das andere. Abwägen. Wer mag. Und auch: wer nicht mag.
Durch das Dickicht duckst du dich
auf Millimeterabstand heran.
Immer nur mitsingen, mitbrüllen,
mitflennen. Ich versuche uns einander auf Abstand aber doch auf denselben Wegen
zu halten.
Die Küche ist leer. Alles
Verwertbare habe ich verwertet. Alles, was nicht gut für mich ist, alles, was
keim- und sonstig schadstoffbelastet ist, habe ich durch die Fenster den
Nachbarhühnern zum Fraß hingeworfen. Wie sie gescharrt haben, während ich eine Tüte
nach der anderen aus dem Fenster schmiss. Erst die Nudeltüten, dann den Reis,
die angerissene Tüte Mehl, die letzte Milchpackung, zwei Scheiben Käse, die an
den Rändern schon verhärtet waren, den Honig aus Lindenblüten, die
Paprikaschoten und die Kamillenteebeutel. Alles was da ist, muss raus, zischte
es durch meine Zahnlücken, den Gaumen entlang, die Nebenhöhlen suchend, den
Gehörgang findend.
Zisch. Zischelezisch. Alles
belastet. Alles muss raus! Hier und heute! Schmeiß es raus, sonst passiert was!
Es müssen mehrere Zischler sein.
Ich kann im Zischen Höhen und Tiefen unterscheiden, als höre ich einem
mehrstimmigen Chor beim Einsingen zu.
Zischelezisch. Zischzisch.
Zischlezisch. Schmeiß das Zeug weg, sonst passiert dir was! Zisch.
Ich höre dich. Du stehst vor
meiner Wohnungstür. Du klopfst. Und ich höre dich reden. Du bist also nicht
allein. Du hast jemanden mitgebracht. Du redest mit jemandem über mich. Zeigst
diesem Jemand, wo ich wohne, du erzählst ihm Dinge über mich, die keiner wissen
kann. Du spionierst mir nach und nun hetzt du mir noch einen dieser Verschwörer
auf den Hals. Ich höre dich genau. Ich weiß, was du vorhast. Du stehst vor
meiner Tür und sprichst mit diesem Jemand, der gegen mich ist, über mich. Du
erzählst ihm Dinge, die nur ich wissen kann. Meine Styroporplatten quietschen,
wenn ich mit den Fingern an den Wänden entlangstreife. Ich sehe mich auf dem
Bildschirm, der das Bild der Überwachungskamera zeigt. Auf mich gerichtet,
alles ist auf mich gerichtet, deshalb muss ich mich überwachen, meinen Körper,
der bereits befallen scheint von den äußeren Einflüssen. Ich höre dich mit
jemanden auf dem Flur vor meiner Tür sprechen. Dort kann nur über mich
gesprochen werden. Worüber sonst ließe sich vor einer Wohnungstür reden, wenn
nicht genau über diesen Menschen, der dahinter lebt. Ob man ihn kennt oder
nicht, ob man ihm jemals begegnet ist oder nicht, ob man für diesen Menschen
jemals ein Päckchen entgegengenommen und behalten hat oder nicht. An so einem
Ort lässt sich über nichts anderes sprechen, als über diesen Menschen. Über
mich sprichst du! Du führst was im Schilde.
Zischlezisch! Zisch. Schrei sie
an! Sie wollen dir Böses! Zischzisch! Die planen doch etwas. Die Wände halten
nicht mehr lange aus. Das Styropor stinkt nach Fluss, nicht nach totem Tier. Da
hast du nochmal Glück gehabt. Schick sie weg!
Aus meinen Zahnreihen treten
Stimmen hervor. Die Stimmen bilden winzige Käferkörper in meinem Mund- und
Rachenraum. Ich würge. Glückskäfer, sich selbst produzierende Skarabäen.
Chepre. Ich bin erwählt, ich bin von den Schöpferwesen auserwählt. Ich würge.
Ich speie die Zischelstimmen in Käferform aus.
Du stinkst nach totem Tier,
kreischen die Chepre mir entgegen.
Nach totem Tier! Die Wände riechen
nach Fluss. Die Wohnung riecht nach Fluss. Ich bin auf einem Schiff und aus dem
Fluss heraus beobachten du und dieser Jemand mich. Ihr wartet nur darauf, dass
ich von Bord gehe. Ich muss mich waschen. Nach totem Tier gieren die Geier.
Du stinkst! Schreien die Chepre,
die jetzt nur noch vereinzelt aus meinem Mund wie aus der Erde hervorkriechen.
Wann habe ich die Muttermurmel verschluckt? Wann genau habe ich eine Kugel
gegessen? Du warst das. Du hast mir beim letzten Mal dieses Stück angeboten,
hast gesagt, es sei eine Schokoladenkugel! Und jetzt stehst du im Wasser vor
meinem Schiff und sprichst mit diesem Jemand, sagst ihm sicher, dass die Käfer
längst geschlüpft sein müssten. Deswegen seid ihr hier, deswegen! Du bist die
Mistkäfermutter!
Zisch. Zisch. Zischele Zisch! Du
stinkst. Du riechst nicht nach Fluss. Zisch! Zischele Zisch! Die warten auf
dich. Die Aasgeier, deinen Körper wollen sie. Am liebsten tot, aber die nehmen
den auch lebendig. Zisch! Wollen nicht länger warten. Warten nicht, bis du dich
endlich totgemacht hast.
Mach dich tot!
Du heilige Kugeldreherin. Du hast
die Pille gedreht und gesagt, es sei
Schokolade. Die Käfer hast du in mich gepflanzt. Eure Experimente könnt ihr mit
einer anderen machen. Ich stinke nicht. Ich bin nicht tot. Bin nicht so dumm,
wie ihr glaubt. Ihr dort vor meiner Tür, ihr, die im Wasser steht und darauf
wartet, dass ich einfach so aufgebe und von Bord gehe. Könnt ihr lange warten!
Ich kenne die Milchstraße und kann auch im Dunkeln navigieren.
Du und der Jemand, ihr hämmert
gegen meine Wohnungstür. Ich höre euch heucheln. Ihr schreit und ruft meinen
Namen, als ruft ihr einen Sicherheitscode aus, die übrigen von euch zu warnen. Ihr
wollt mich täuschen. Ihr täuscht mich nicht! Ich sehe euch auf dem Bildschirm,
der jetzt das Bild der außen angebrachten Kamera zeigt. Da stehst du also. Und
das ist der Verschwörer neben dir. Sieht aus wie eine Schlange. Es wundert mich
nicht, dass du auf die hereingefallen bist. Du armer Mensch. Ich hätte es von
vornherein wissen müssen. Ich Trottel. Du Dummkopf, du Taugenichts, du falscher
Mittelpunkt in der richtigen Welt. Und der, der da mit dir steht, der zischelt
ja auch, kann gar nicht sprechen ohne zischeln. Holt Luft und zieht nur
Gezischel hinterher.
Zisch. Zischelezisch. Lezisch! Du
einziger Punkt in der falschen Welt. Hol dir die Schlange.
Ich werde mir Vögel besorgen
müssen. Vielleicht wenn ich die Fenster öffne, solange offen halte, bis
ausreichend Vogelgekreisch in der Wohnung sein wird. Dann werdet ihr staunen.
Denn dann werdet ihr nichts mehr hören. Euer Geschrei nützt euch auch nichts.
Die Abhörzellen in meinen Zähnen kannst du dir sonst wohin stecken. Waren nicht
nur Käferbrutstätten in deinen Muttermistkugeln. Habe ich mir doch gleich
gedacht. Du!
Zischzischzisch. ZISCH!
Ihr hört mich ab, weil ihr mich
nicht aushören könnt. Seit Tagen schon. Ich sehe euch auf dem Bildschirm. Ich
höre euch vor meiner Wohnungstür. Ich weiß, was ihr mir in den Mund gelegt
habt, und ich schreie, damit ihr taub werdet, ihr und eure Abhörohren.
Vogelstimmen sind beste Hintergrundgeräusche. Oder mit den Fingern über
Styroporplatten schieben. Das schmerzt euch? Seit Tagen schon?
Mach dich tot! Zischlezisch. Die
warten jetzt auch nicht mehr. Die warten nicht länger. Entweder du machst dich
tot oder die machen das.
Ruhe! Seid ruhig. Mich macht keiner
tot. Können die gar nicht. Ich bin schneller. Habe euch doch längst
durchschaut. Ich habe die Axt und die Säge. Wie sonst hätte ich das Styropor
zuschneiden können. Ich habe, was ich brauche. Und in meinen Zähnen die
Abhörkanäle habe ich unterbrochen, habe mir einfach die Zähne ausgeschlagen.
Blutet noch. Siehst du! Habt ihr daran nicht gedacht? Oder habt ihr mir das
nicht zugetraut?
Zisch. Zisch. Zisch. Zisch.
Und, bist du nur noch einstimmig?
Was ist los mit deinem Chor?
Mistkäfermutter, bleib ruhig vor
meiner Tür stehen. Stehe dich da fest und den Jemand behältst du auch an deiner
Seite. Die Schlange. Habt ihr nicht geglaubt, dass die Vögel hier in Scharen
fliegen und euch die Ohren voll kreischen? Aber Vögel fressen Käfer.
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