Dienstag, 16. Mai 2017

Sagst so kleine Dinge mit deinem so großen Mund. Ich stehe dir gegenüber und lausche, lausche an Wänden und Fenstern, lausche durch die geöffnete Tür, lausche durch die Worte und Sätze und Seufzer der anderen, den kleinen Dingen nach, die du sagst. So nebenher, so einfach aus deinem Mund heraus. So einfach hervor und heraus als wäre dabei nichts. Nichts dabei und nicht davor und überhaupt, als wären diese kleinen Dinge nichts. Die Dinge, denen ich so gern nachlausche, während du dein schwarzes Haar zu blonden Locken drehst. Drehst und kurbelst, als gelte dein Finger das Drehen der Welt.

Und während ich das schreibe, weil ich dieses Lauschen beschreiben möchte, vergesse ich die Pizza im Ofen. Und dass Essen nur Nahrungsaufnahme ist und nicht mehr. Das hast du mir vorgeworfen. Dass ich nicht des Genusses wegen essen kann. Und dann denke ich daran, wie andere das Essen mit Worten besticken. Worte, die mir das Essen des Genusses wegen nicht leichter machen. Ich rieche die verbrannte Pizza, die ich im Ofen vergesse, während ich hier schreibe. Ich rieche und denke an den Genuss der Worte. Und dass ich kein Essen, mit nicht schmackhaften Worten bestickt, genießen kann. Genießen werde.

Du drehst dein Haar und die Welt gerät an keinem Pol aus den Fugen. Nur das Rentier ist ohne Gehörn.  Das sagtest du. Das Rentier habe  nun gar kein Geweih mehr. Ich hörte dich das sagen und versuchte mich an ein Gespräch über Rentiere zu erinnern. Ich erinnerte mich an den Unfall vom Vortag. Schwer und mit ganztägiger Sperrung der Autobahn. War da ein Rentier verwickelt? Ich suchte nach der Verzweigung zwischen uns und dem Rentier. Geschichten bilden sich aus, schlagen Zweige in meinen Gehirnrinden.

Das Klima ist andernorts von deinem Haargedreh nicht beeinflusst. Und ich weiß, dass meine Wortwahl nicht die Wahl jedermanns ist. Wie ich keine Genussesserin bin. Niemals des Genusses wegen?

Ich stehe dir gegenüber während all des Lauschens. Die Menschen wissen selten um den Lärm, den sie ausstrahlen. Oder sie wissen es doch. Und während ich das Summen des Stroms in den Wänden höre, während ich die Worte der übrigen Lärmstrahler sortiere, während ich meine Gedanken prüfe und auf ihre Gewichtigkeit - ob das Aussprechen lohnt - abwäge, lausche ich deinen kleinen Dingen. Ich hätte mehr sagen sollen, denke ich dann manchmal abends. Doch dann denke ich auch, dass du mich fragen würdest, würdest du meine Gedanken ausgesprochen hören wollen. Ich denke, dass die Menschen fragen würden oder einen wortlosen Augenblick gäben, den anderen oder mich zur Aussprache kommen zu lassen. So viel Gerede. Ein Sprach- und Ton-, mein Befundungstraum.

Meine Defizitbefundung

Nicht Small-Talk-fähig - Kein adäquates Spruch- & Witzerepertoire  - Mangelende Aussagekraft   – bedarf aktiver Nachfrage zur Gedankenäußerung - Rückzug- und Denktendenzen - Aktives Herausnehmen/Einschränken aus/von Wahrnehmungsprozessen - Überempfindlichkeit Lärm gegenüber – Wortverliebtheit - Überschätzung der eigenen Fähigkeiten – Kritisierlustig - ….

Ressourcen

Werden zwischen Tür und Angel geheftet und wahrgenommen. Eher so nebenher. Wie das Atmen. Du weißt das.

Und diejenigen, die Geschichten lesen wollen, werden wahrscheinlich nicht bis zu dieser Zeile gelesen haben. Ich schreibe keine Geschichten. Wer weiß das denn nicht? Wer hier liest, weiß:

hier werden keine Geschichten gelesen.

Oder?

Das sieht man doch.

Oder?


Also: Es war einmal ein Rentier .... (Fortsetzung folgt)





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