Hinterher werden wir sagen, wir hätten das Laub nicht fallen
sehen. Hinterher werden wir stelzbeinig im Minirock stehen und uns über die
Kühle der letzten Tage beschweren. Wie wir den Winter nicht haben kommen sehen,
werden wir sagen und kopfschüttelnd, ein Bein nachziehend die Allee entlang
wandern. Warten, dass ein eiliger Fahrer seinen Wagen stoppt, uns auf seine
Spritztour einzuladen. Solange er zahlt, sagst du und unterbrichst mich in dem,
was wir alles nicht gesehen, nicht bemerkt, nicht gewusst haben werden. Denn,
dass die Zeit kommen würde, in der uns unstete Fragen gestellt werden würden,
dass diese Fragezeit kommen würde, das hatten wir gewusst. Wir hatten gewusst,
dass die zertretenen Füße uns in diese Fragezeit hinein und aus den normalen
Zuständen hinaus katapultieren würden. Und trotzdem werden wir sagen, wir
hätten das Laub nicht fallen gesehen.
Dass mir dieser vielgliedrige Fuß in seinen Einzelteilen so
fremd sein würde, hatte ich nicht ahnen können. Sie haben ihn mir abgenommen,
wie man Jemandem am Reklamationsschalter ein defektes Gerät abnimmt, sie hatten
diesen einen vielgliedrigen Fuß von mir genommen und vor mir in seine
Einzelteile zerlegt. Scheibchenweise zerstückelt. So saß ich, den Kopf fest auf
die Schultern gestützt, der Fuß lose vom Rest meines Körpers, so saß ich und
hörte die stampfende Stimme der Schwester über den Gang eilen: „Nicht mal zum
Frühstücken kommt man!“. Ich saß und stellte mir vor, wie der leere Magen der
Schwester sich umdrehen und sie von innen her überfallen wird, und ich bekam
Angst, sie könnte über den Flur zu mir in dieses Zimmer treten, meinen
abgenommen Scheibchenfuß sehen und genüsslich hineinbeißen. Wie man eben
genüsslich in ein Stück Fleisch beißt, wenn man seit Stunden nichts zu essen
bekommen hat. Wenn man solange nichts zu essen bekommen hat, dass der eigene
Magen über einen herfällt. Wenn man nicht zum Essen kommt, weil Füße
abgenommen, betrachtet, zerscheibt und wenn möglich auch repariert werden wollen.
Der Fuß in seinen Einzelteilen war einer genaueren Untersuchung
wert, befand man. Hier ein Brüchchen, der Spalt gerade wie ein Haar dünn, kaum zu beachten, dort
ein Riss, da ein Gewölbe im Knochen, und anderswo, als habe jemand angebaut.
Die Stimmen klingen wie aus einem Rohr. Scheibchenweise dringen sie hervor,
treten mir in den Gehörtunnel, schlagen an Schädelwände, hallen zurück. Prallen
wütend ab, dort, wo sie nicht weiter kommen. “Keine Brüchchen, keine Risschen.
Ihr Fuß sieht in seinen Einzelteilen, soweit wir blicken können, gesund aus! Knicken
sie beim Gehen nach Innen?“ Ich versuche
mich an mein Gehen zu erinnern. Ich erinnere mich nicht. Ich verlor jede
Haltung, nachdem die Sache mit den zertretenen Füßen begonnen hatte. Ich fiel
zur rechten Seite ab, die linke knickte ein, der Oberschenkel zog zusammen, die
Hände griffen nach allen Seiten an alles Halt- und Stützbare. Wohin knicken denn
meine Füße, wohin sollten sie denn knicken, frage ich mich. Und kaum hatte ich
keine Antwort gegeben, stampfte schon wieder die Hungerstimme der Schwester
durch den Flur: „MEEEEEEENSCH!“ Ich könne jetzt gehen, sagt die Scheibenstimme.
Wie ich ohne den mir abgenommenen Fuß denn gehen solle, frage ich und schaue auf
die Einzelteile vor mir. Der Scheibenautomat spuckt Bilder in
Passbildübergröße. Motorengeräusche, als wollten wir auf der Stelle zum Mond fliegen.
Ich nehme eines der Bilder und klebe es mir an die Hosennaht, genau dort,
wo mir der Fuß mit Handschuhfingern abgenommen worden war. Es will nicht
halten.
Ich werde sagen, ich habe von all dem nichts gewusst. Ich
werde meine Fingerknöchel aneinander schlagen und überlegen, in welche Richtung
wir die Hunde loslassen sollen. Und dort, wo dann der Knochen bricht, dort wo
die größere Hälfte des kaputt gegangenen Knochens sein wird, dorthin wird das
Glück fallen, und dorthin wird der Größere von uns beiden treten. Wenn möglich
auch auf Füße.
Und dass das Laub gefallen war, bevor wir uns die Füße
zertraten, davon werden wir nichts gewusst haben.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen
Umgang mit Kontaktdaten
Nehmen Sie mit mir als Bloggerin durch das angebotene Kommentarformular Verbindung auf, werden Ihre Angaben gespeichert, damit auf diese zur Bearbeitung und Beantwortung zurückgegriffen werden kann.
Kommentare können auf Anfrage von mir gelöscht werden.