Freitag, 11. Juli 2014

Ich kann nicht atmen. Es gelingt mir einfach nicht, die Luft aus dem Raum vor meinem Mund in den Röhrenraum im Innern meines Mundes zu ziehen. Ich hole die Luft, hole sie ein, hole sie über die Lippen, durch die geöffnete Zahnreihe hinein, ziehe und sauge und fühle sie nicht tiefer gelangen. Sie bleibt da irgendwo auf der Zunge, irgendwo in den Taschen meines Zahnfleisches, irgendwo zwischen den Papillen auf meiner Zunge. Aber tief in meinen Röhrenapparat hinein gelangt diese Luft nicht. Bleibt einfach stehen, als vermute sie in der Tiefe, die sich hinter meinem Zäpfchen auftut, ihr Verderben. Ein Verderben im schwarzen Schlund meines Körpers. Ich kann sie verstehen, die Luft. Nur meinen Saug- und Röhrenapparat verstehe ich nicht. Er muss kaputt gegangen sein. Sodass ich hier sitze und um diese zur Verfügung stehende Luft ringe, sodass mir hin und wieder schwindlig wird, und ich dem Mund weit aufreiße, um überhaupt noch etwas von der im Raum vor meinem Mund zur Verfügung stehenden Luft ab- und in mich hinein zu bekommen. 

Ich habe Not. Eine sich mir aufdrängende Atemnot. Wo ich sonst so nebenbei und nebenher Luft hole, atme, wird diese Not jetzt riesig und furchtbar und ganz unmittelbar, legt sich mir in den Mund, in den Brustkorb, breitet sich aus. Die Not zeichnet sich auf meinem Gesicht ab, zeichnet meine Gesten und Handreichungen. Ich reiche niemandem mehr die Hand. Ich bin zu sehr damit beschäftigt, aus dieser Menge an zur Verfügung stehender Luft, nur ein klein wenig für mich ab- und in mich hinein zu bekommen. Ich sitze still, um meinem Bedarf an Atemluft niedrig zu halten. Ich sitze still, reiche niemandem mehr die Hand, atme nicht mehr nur nebenher, sondern atme um mein Überleben. 

Es ist, als atmete ich durch ein schwer genässtes Leinentuch. Als sei mein innerer Mundrachenhöhlenraum trockene Sandlandschaft. Kein Speichel, keine Feuchtigkeit, sodass ich immerwährend Wasser zuführe. Das Schlucken geht nicht mehr. Und jedem Sprechwort folgt ein Bellhusten. Der Apparat ist kaputt! Also schlucke ich kaum mehr, nur Wasser, immerfort Wasser aus Flaschen. Also spreche ich kaum, und wenn, dann flüstere ich. Die Atemnot ist inzwischen auch Schluck- und Sprechnot geworden. Als wäre alles dieser Not dürftig. Dabei habe ich das nie gewollt! Komischer Körper. Zwingt mich, mit der Not, die er anrichtet, Abstand zu nehmen. Körperabstand. Fühle mich hündisch werden mit diesen Belllauten. Fühle mich fischig mit dieser an der trockenen Luft entstehenden Not. Fühle mich überhaupt nicht mehr. Vor allem nicht sicher. Unsicher in diesem Körper, der an dieser Röhrenluftmaschine hängt, von ihr abhängt.

Ich denke nach, was geschehen wird können, wenn die Not noch größeren Raum in mir einnehmen wird. Was, wenn die Luft ganz außerhalb meiner Atemmaschinerie bleibt. Außen vor. Sozusagen.Wenn da also nur noch Überlebensnot anstelle meines Körpers sein wird. Ich könnte ein Messer nehmen, ein Cutter und dort stechen, wo ich die Luftzufuhrröhre vermute. Und dann würde ich spüren, wie endlich frische und massig von der zur Verfügung stehenden Luft hinein strömt. Mein Körper könnte aufatmen, sich ausdehnen und sich aalen in all der zugeführten Frischluft. Schnittzufuhr. Sage ich mal dazu. Ich würde einfach einen Schnitt setzen und endlich wieder atmen können. Nicht so nebenher, eher so ganz direkt ohne Umwege durch Lippen- und Zahnspalte. Wie gut sich eine ausreichende Luftzufuhr anfühlt, denke ich. Wie gut. Das weiß man erst, wenn man die Not kennt, wenn das Nebenher und Nebenbei plötzlich nicht mehr so nebenher und nebenbei ist. Ich warte und halte still. Spreche nicht. Trinke Wasser. Führe Luft in Kleinstmengen durch letzte Zugkraft meiner Atemapparatsmuskulatur zu. Male mir diesen Freiluftröhrenschnitt aus.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen

Umgang mit Kontaktdaten

Nehmen Sie mit mir als Bloggerin durch das angebotene Kommentarformular Verbindung auf, werden Ihre Angaben gespeichert, damit auf diese zur Bearbeitung und Beantwortung zurückgegriffen werden kann.

Kommentare können auf Anfrage von mir gelöscht werden.