Samstag, 29. Oktober 2011

Wer die Anfänge unten nicht kennt, wird einige hier wieder erwähnte Personen nicht kennen. Den mit dem Gedichtband zum Beispiel oder auch den Herrn L(i)ebenswert.
Der aus Afghanistan wird heiraten. Nach dem Verlassenwerden und Verlassensein hatte er gleich eine neue Frau gefunden. Eine, die an seine Seite passt, sowohl körperlich als auch in den übrigen wichtigen Dingen. Sie ist nicht in der Wüste gewesen und hat ihn mit der Waffe im Anschlag nur auf Fotos gesehen. Bilder sind Illusion. Man kann sich die Wahrheit verkehrt denken. Ich glaube, ich hätte Angst vor Händen, die mit Munition und Maschinengewehren wissen umzugehen. Hände allerdings, die den Wüstensand berührt haben, würden mich vielleicht faszinieren. Auch wenn sie meinen, alle Wüste sei nur Dreck und Staub, wenn sie jede romantische Vorstellung verneinen, weil sie die Wahrheit kennen. Asphaltierte Wüstenwege. Der aus Afghanistan sagt, er ist von diesem Leben abgezogen. Aber für mich wird er immer der bleiben, der er war und ist: der aus Afghanistan. Wie sonst sollte man einen Menschen in den eigenen Landstrichen verorten, wenn nicht mit allem, was man von ihm weiß und kennt?

Der mit den Metallplatten im Kopf, hinter Stirn- und Wangenhaut , der ist nicht mehr. Seit zwei Monaten tot. Vom Leben verschluckt und nun irgendwo in den hinteren Kammern, die keiner kennt, der am Leben noch ist. Weshalb und warum und was wäre wenn … das sind die üblichen Worte, die einen befallen bei Todesnachrichten. Wie plötzlich alle Organe die Arbeit verweigern und stillhalten können, ist unbegreiflich. Nirgends lassen sich Antworten finden, denen man genug Glauben schenkt um das ganz Unmögliche annehmen zu können. Wie sich da einer, den man liebt und so nah in seinem Leben hat, wie der sich hinlegt und nicht wieder aufsteht, das versucht man sich vorzustellen. Doch es gelingt nicht. Es kommen andere Bilder. Die Bilder, wie man gerade noch getanzt und gelacht hat, wie der eine, den man so liebt im Leben den Hund wie ein Kind mit der Decke ummantelt. Man fühlt am Rücken noch die Hand, wie sie liegt und schwer ist. Warm. Und plötzlich steht man vor einem offenen Sarg und sieht diesen Menschen, der nicht mehr der Mensch ist, wie man ihn im Leben kennt. Man sieht Haut und Knochen, sieht die Metallplatten nicht und weiß, dass auch sonst das ganze Innere nicht innern ist. Weil es irgendwo zur Untersuchung liegt. Man sieht die rosa geschminkten Wangen, die geschlossenen Augen und wenn der Blick das ganze Bild zulässt, sieht man blaugeränderte Fingerkuppen. Und dann weiß man wirklich Bescheid.

Komplettes Organversagen. Ich denke an Berlin und stelle mir vor, wie mit einem Mal alles erlahmt und stillliegt. Wie die Häuser an Glanz und Licht verlieren, wie die Ufer der Spree ohne Leben sind. Ich denke an F. und C., die ich gerade erst kennen gelernt habe und wie sie verschwunden sein werden. Und wie alles Leben umher weitergeht. Zeit hat viele Dimensionen. Ich sehe, wie dort an einem Punkt alles innehält und etwas von der Zeit aussetzt.

Der aus Afghanistan wird Vater werden.

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