Freitag, 28. Oktober 2011

Berlin. Es ist eine windige Zeit. Von den Häusern fallen Fluchten und überall sieht man ihnen Menschen folgen. Als gäbe es irgendwo einen Ort, an dem alle Körper zu einem einzigen verschmelzen, Fluchtkörper werden. Oder eine Landschaft nur. Hier in der Stadt kann ich mir vieles nicht mehr vorstellen. Kaum noch Baumpfade, auf denen man still und staunend schlendern kann. Oder dieses weite Flussufer, welches daheim immer Zuflucht geboten hat. Ich laufe an den Hauswänden entlang, schaue durch die unteren Fenster, schaue in eine Behaglichkeit, die mir dieser Tage fehlt. In den U-Bahnen riecht es, wie man sich andernorts keinen Geruch vorstellen mag, und die Bänke bieten keinen Platz zum Verweilen. Es wintert schon mehr in den Straßen als das es herbstet. Das wenige Bunt der gestutzten Bäume reicht nicht aus, es kommt nicht an gegen die Graffitis an den Wänden und S-Bahn-Wagons. Es ist eine windige und eine einfallslose Zeit.

Ich war Gestern F. begegnet. Wie sie kam und klein war. War kaum größer als ein Zehnjähriger und bestellte einen großen Milchkaffee. Als ich ihre schmale Hand zur Begrüßung drückte, fühlte ich, wie sie unter meinem Druck zusammenfiel. Ich erschrak, weil ich nicht schnell genug von ihrer Hand lassen konnte. Ganz schwarz ihr Haar und nur millimeternah am Ansatz war ein Grau erkennbar. Ich schaute schnell weg, als wäre ich bei einem Geheimnis ertappt worden, aber in ihrem Gesicht blieb ich wieder hängen und schaute die Augen. Wie sie sprach und mich ins Visier nahm. Irgendwo zwischen meinen Augen oder auch in einem meiner Augen hatte sie einen Punkt fixiert und erzählte von ihren Träumen. Sie plauderte und ich schaute, hörte, kam nicht zu Wort. Holzkunst und Buchregale. Schlagworte, die ich bemüht war irgendwohin zu sortieren. Alphabetisch sammelte ich das von ihren Lippen, was nahtlos herunterfiel, zwischen Milchkaffee und schwarzen Haaren umherstob. Ich kartografisierte und suchte den Punkt, an dem ich das Fähnchen mit meinem Namen darauf hineinstechen konnte. Sie sagte, sie würde sich die Landschaften anschauen und vielleicht fände sie ja einen Ort. Seither warte ich in stillen Winkeln der Flussufer. Ich warte auf eines ihrer vielen Worte, ein Wort, das mich wie eine Nadel durchstößt, mich in ihrer Landschaft markiert, mir Ort zuweist.

Im Himmel über den Feldern sammeln sich Zugvögel. Ich höre ihr Geschrei, als schreiten sie ihr Ziel in alle Winde. Ihren Abschied vielleicht. Seit meinem ersten Winter beneide ich die Vögel, die ihr Zuhaus im Gefieder tragen und winters andernorts Zuflucht finden. In diesem Stück Blau über den Wiesen ziehen sie ihre Formationen, und ich denke, sie täten es nur für mich, mir zum Abschied ein Tanzstück aufzuführen, mich zu erfreuen für die kalte Zeit, in der ich sie vermissen werde. Dabei sehe ich im Sommer kaum einen von diesen Vögeln. Sie nisten an den Rändern der Stadt und nur hin und wieder zieht ein Schwarm durch den Himmel über Berlin.

C. wundert sich über F. und behauptet, ich würde ohne Umschweife zu ihren Landschaften passen. Nur ein Blick genügte, mich festzumachen an ihren Horizonten. Sie sagt, ich solle nicht länger warten. Dabei kennt C. mich ebenso wenig wie die übrigen Menschen, denen ich hier begegne. Eine Woche bin ich in der Stadt und drei Menschen sind mir schon nahe getreten. Ich trat und sie kamen heran. Einander waren wir uns also nah gekommen, so nah, dass eine meint, mich in den Himmeln der Anderen orten zu können. Diese schmalen Frauen, die mir selbst so sehr ähnlich sind.

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