Mittwoch, 15. Juni 2011

Es ist unumkehrbar. Wir ziehen. Mit den Füßen voran stellen wir Abstand her. Abstand zu dem, was uns lieb ist, zu jenen, die wir vermissen werden. Wir ziehen größere Kreise. Und vielleicht bei Sonnenaufgang sehen wir, was kommen wird, sehen gleichzeitig, was gewesen sein wird. Was bleibt. Irgendetwas bleibt immer. Zurück oder auch unerkannt. Ich werde mit den Füßen auf morgiges Gras treten und ein Rest von Übermorgens Gestern wird im Gras gelegen sein. Klein und ein wenig verunreinigt wird es gelegen und kaum Beachtung gefunden haben. Wer in größeren Bahnen die Erde umreist, sieht seinen Lebensort Galaxie, sieht ihn Universum werden, wird Kosmonaut.

An den mit dem Gedichtband werde ich nicht lange denken. Seinen blumigsüßen Geruch werde ich nicht erinnern wollen, nicht seine alten Hände, den breiten Kopf. Er wird einer der Ersten sein, der in meine Vergessenheit hinein und dort nirgends heraus geraten wird. Er und die ihm so Gleichen. Es wird mich keine Mühe kosten, sie kleinstmöglich gefaltet abzulegen. Um Raum und ebenso Gewicht zu sparen. Denn wenn ich in größeren Kreisen reisen möchte, soll nichts mehr mich beschweren dürfen, denke ich und versuche die ersten, leisen Sprünge in die Luft.

Keiner sieht mich. Keiner hört mich. Nicht hier und anderswo ebenso wenig. Im Abstand zu dem, wo ich jetzt noch bin, wird es anders nicht werden. Leiser – vielleicht. Menschenarm. Und womöglich entferne ich mich nicht der Welt, sondern nur mich von mir. Wie viel Abstand zu sich selbst bedarf es, um sich selbst zu erkennen?

Ich ziehe. Fäden, Leinen, Taue. Mich selbst durch ein Nadelöhr Unbekannt. Ich schaue auf die Stadt, die ich hinter mir lassen werde. Habe ich hier in ihr in Menschen Brände entfacht? Feuer habe ich gesehen. Asche und Schutt. Herzumrandete Magnolienbäume, Kinderhände. Ich habe hier Vögel sich Federn reißen sehen, sah Häuser einstürzen und das Unterorts dieser Stadt. Habe ich Menschen gekannt? Meine Lippen lagen an Mündern, meine Hände rieben andere Haut. Ich habe in Wohnungen geschlafen, gegessen, gebadet. Weinend und lachend habe ich Menschen umarmt. Getrunken. Ich habe verflucht. War ich glücklich? Ich war mit nackten Füßen über warmen Asphalt gelaufen, habe den Ratten am Fluß beim Spiel zugesehen und auf der Wiese Erdbeeren genascht. Ich habe mit verbundenen Augen eine Richtung eingeschlagen, aus der ich nun kommend weiterziehe. Ich habe gelebt.

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